032 666 45 11 info@zentrummoesli.ch
Die Gotthelfstube des Zentrum Mösli

«Us üsere Gägend: der jung Gotthälf»

Haben Sie gewusst, dass Albert Bitzius seine Jugendzeit in Utzenstorf verbracht hatte, und dass Utzenstorf zu den sogenannten «Gotthelf Dörfern» gehört? Nein? Dann laden wir Sie jetzt ein, die Geschichte vom jungen Gotthelf während dieses Lebensabschnittes (1805 – 1824) kennenzulernen.

Lokalgeschichte

Der junge Gotthelf

Albert Bitzius wurde am 4. Oktober 1797 in Murten geboren. Sein Vater Sigmund Bitzius, in dritter Ehe verheiratet mit Elisabeth Kohler, war evangelischer Pfarrer. Albert hatte eine Halbschwester (Marie) und einen jüngeren Bruder (Fritz). Die Familie Bitzius gehörte zu den regimentsfähigen Burgern Berns. Nachdem Murten an das katholische Freiburg übergegangen war, übersiedelte die Familie Bitzius 1805 nach Utzenstorf. Albert war zu diesem Zeitpunkt etwa acht Jahre alt.

Im Gebiet der ehemaligen Kornkammer des Kantons Bern verlebte der aufgeweckte und eigenwillige Knabe seine schicksalsschwersten Jugendjahre, und viele seiner Erlebnisse verarbeitete er später in seinen Werken.

Zur grossen Pfarrei Utzenstorf gehörte umfangreiches Pfrundland, welches von Vater Bitzius selber bewirtschaftet wurde. Der Sohn Albert half mit Lust und Freude bei allen vorkommenden Arbeiten in Feld und Stall. Er half bei der Hausarbeit, hielt sich Kaninchen, trieb Schaf- und Taubenhandel. Er spielte mit den Alterskameraden «Räuberlis» im nahen Wald, ritt gern und war aktiv beim bernischen Nationalsport, dem Hornussen. Er lernte so die Bauernbevölkerung mit all ihren Vorzügen und Schwächen kennen.

Zu dieser Zeit entstand die Freundschaft mit Jakob Steiner, dem Kleinbauernbub mit der genialen Begabung für Mathematik, der später Professor in Berlin (D) wurde, dort Gotthelfs Werk bekannt machte und den Berliner Verleger Springer bei den Illustrationen zu Gotthelfs Werken beriet.

Anfänglich unterrichtete Vater Sigmund Bitzius seine Kinder selber. Ab 1812 besuchte Albert das Gymnasium in Bern; 1817 begann er sein Theologiestudium. Nach einem Studienaufenthalt in Göttingen (D) und einer anschliessenden Reise durch Norddeutschland kehrte er im Jahre 1822 nach Utzenstorf zurück. Dort wurde er wieder Vikar bei seinem Vater. Mit ganz besonderer Freude widmete er sich in Utzenstorf dem Schulwesen. Er schulmeisterte oft tagelang mit grossem Erfolg, suchte Reformen und vertiefte sich in die bahnbrechenden Ideen Pestalozzis.

Albert Bitzius bewies schon in seinen jungen Jahren in Utzenstorf, dass er eine fortschrittliche Gesinnung hatte, dass er kein Leisetreter war, als Vikar unumwunden die Wahrheit verkündete und mit diplomatischem Geschick schwierige Familienhändel im Dorf zu schlichten verstand.

Nach dem Tode seines Vaters im Jahr 1824 konnte er nicht als Nachfolger gewählt werden, da er die erforderlichen fünf Jahre als Vikar um ein Jahr noch nicht erfüllt hatte. Aus Dankbarkeit für seinen ausserordentlichen Einsatz beim Bau des neuen Schulhauses überreichte ihm die Gemeinde bei seinem Wegzug nach Herzogenbuchsee als Ehrengeschenk eine Repetieruhr.

Gerade in Utzenstorf, bei den reichen Bauern und den armen Tagelöhnern, bei Meistersleuten und Dienstboten, fand Albert Bitzius den Weg zum Bernervolk, zu seiner Kirche und Schule, zum heimischen Bauern- und Brauchtum schlechthin. Hier wurde er zum Jeremias Gotthelf.

Quelle:
Nach den Auszügen aus dem Bericht von Walter Marti in der Berner Woche von 1947 und des Gemeindeprospektes von Utzenstorf

 

Warum sich Albert Bitzius als Schriftsteller «Jeremias Gotthelf» nannte

Albert Bitzius hat sich zeitlebens für Kinder eingesetzt. Sein erster Roman «Der Bauernspiegel» erzählt die Geschichte eines «Verdingbubes», und diesen nannte er Jeremias Gotthelf. Jeremias in Anlehnung an den Propheten Jeremias, «denn er habe etwas zu klagen,» und Gotthelf mit dem Gedanken: «Hilf dir selbst, so hilft dir Gott!»

Später musste er sich als Schriftsteller hinter diesem Namen seines Hauptdarstellers verstecken, denn nicht alle Leser seiner Schriften fanden Gefallen an seiner lebensnahen und zum Teil groben Darstellung der Verhältnisse.

Albert Bitzius hat das menschliche Herz geschildert mit seinen Freuden, seinen Leiden und zum Schluss bemerkte er: «Schwer ist es, die rechte Mitte zu treffen, das Herz zu härten für das Leben und weich zu halten für das Lieben.»

Es ist mit der Liebe wie mit den Pflanzen: Wer Liebe ernten will, muss Liebe säen.

Es gibt Worte, die gehen in den Kopf wie Splitter ins Fleisch: Man merkt es nicht. Erst nach einer Weile fangen sie an zu schmerzen und zu eitern, und oft hat man seine liebe Not, ehe man sie wieder rauskriegt.

Anekdoten aus Gotthelfs Jugendzeit

Die Ostereier

Albert Bitzius wuchs in einem grossen landwirtschaftlichen Betrieb auf, der zur Pfarrei seines Vaters gehörte und durch die Familie betrieben wurde. Neben dem Ackerbau hielten sie Pferde, Kühe, Schweine, Kaninchen und Hühner. Im Frühjahr hatte der kleine Albert eine Henne beobachtet, die ihre Eier in ein verstecktes Nest legte. Als die Osterzeit näher kam, fragte der kleine Bub seine Mutter, wie viele Ostereier ein jedes von den drei Kindern wohl erhalten würde. Eier waren teuer und erst als die Mutter versprach, dass jedes Kind genügend Eier bekäme, verriet ihr der kleine Albert, wo die Henne ihr Nest versteckt hatte.

 

Auszug aus einem selber geschriebenen Lebenslauf

«Mein Vater unterrichtete mich selbst, so dass ich im Jahr 1812 das Gymnasium in Bern besuchen konnte. Meine Kenntnisse gingen aber nicht weit über Griechisch und Latein hinaus. Nebenbei las ich Romane, soviel ich zur Hand bringen konnte, trieb starken Schafhandel, lernte jagen, fischen, reiten, übte mich in allen Landarbeiten, einigen weiblichen Handarbeiten und brachte es in mehr als einem ländlichen Spiel zu bedeutender Fertigkeit.»

 

Elisabeth Kehrli

Als Student half Albert Bitzius seinem Vater in der Landwirtschaft, dem Lehrer beim Unterricht der 290 Schüler und erteilte daneben noch Kinderlehre und Unterweisungsunterricht. Als er für ein Jahr nach Göttingen (D) zum Studium fuhr, musste er sich von der 16jährigen Elisabeth Kehrli verabschieden. Seine Schülerin hatte ihm zum Abschied einen reizenden Liebesbrief geschrieben, und er gab ihr als Erinnerung ein Buch mit einer ganz persönlichen Widmung. Elisabeth Kehrli wurde Vorbild für das «Mädeli» im Roman Leiden und Freuden eines Schulmeisters.

 

Auszug eines Briefes an seine Halbschwester Marie

«Seltsam ists, dass hinter der grossen Menge hübscher Frauen selten ein schöner Mann sich zeigte, und wir gewiss Aufsehn erregten; manches schöne Auge konnte sich nicht von uns losreissen… Von Tag zu Tag werde ich hübscher, ich bekomme ganz ein apostolisches Air (starke Ausstrahlung, gutes Aussehen), wenigstens ein petrinisches. Die unbequemen Haare fangen an, ihre Indiskretion zu fühlen und verlassen schaarenweise mein weises Haupt; vielleicht drückt sie auch die sich anhäufende Gelehrsamkeit heraus, bald wird ein niedliches Glatzköpfchen am Platz der krausen Locken der Mädchen Augen bezaubern.»

 

Auszug eines Briefes an einen Freund

Zurück aus Göttingen (D) wurde er Vikar bei seinem Vater und meinte in einem Brief an einen Freund: «Nun bin ich wieder eingebürgert in meinem Amt und gebe mir alle mögliche Mühe, eine Amtsmiene zu erwerben, was mir bis dahin noch nicht gelungen ist; denn wo ich ein hübsches Mädchen sehe, da spitzt sich mein Mund schon zum Kuss oder einem zweideutigen Scherz.»

 

Sauschrift

Sein Lehrer, Rudolf Wyss, sagte seiner Mutter einmal: «Sagt doch eurem Sohne, er solle schöner schreiben lernen, er schreibt wie eine Sau. Lässt er mal was drucken, besonders in Deutschland, so hat er des Schinders Verdruss» (Teufels Dank).

 

Gytiwil

Dass Albert Bitzius schon als junger Mann diplomatisches Geschick besass, zeigte er anlässlich der bekannten Schulhauspredigt vom 4. Februar 1821. Er überlistete die Utzenstorfer zum Bau eines neuen Schulhauses, indem er ihnen vorhielt, sie seien zu arm, um eines zu bauen! Nach dieser Kopfwäsche hatten die Utzenstorfer beschlossen, ein neues Schulhaus zu bauen, dass 1824 durch Albert Bitzius mit einer flammenden Rede eingeweiht wurde.

Diese Episode ist in die Literatur eingegangen im 2. Band des Romanes Leiden und Freuden eines Schulmeisters. Das Kapitel Wie man zu Gytiwyl ein Schulhaus baut bezieht sich auf seine Erfahrungen hier in Utzenstorf.

 

Anne-Bäbi Jowäger

Haben Sie gewusst, dass der Gotthelf- oder Jowäger Speicher am Dorfrand im Stigli in Utzenstorf steht? Er wurde um 1742 erbaut und ist Schauplatz im Gotthelf-Roman Anne-Bäbi Jowäger.

Oder haben Sie gewusst, dass das Bauernhaus von Fritz Kummer, im Oberdorf von Utzenstorf an der Lindenstrasse, der Hof des Ammans im Roman Die Käserei in der Vehfreude war?

 

Literatur

Weiterführende Literatur:
Jeremias Gotthelf – Leben, Werk, Zeit
Hanns Peter Holl
Artemis Verlag Zürich und München
ISBN 3 7608 0991 X

Galerie Gotthelf

Klicken Sie auf die Bilder, um Gotthelf-Impressionen aus Utzenstorf zu sehen.

Fotos: Lenka Reichelt, Zuchwil-Solothurn www.fotoreich.ch
Quelle: Fotosammlung Landfrauen Utzenstorf, Wiler b.U., Zielebach

Vielen Dank an Barbara Kummer, die es ermöglicht hat, die Geschichten und Bilder über Gotthelf zusammenzutragen.

 

Übrigens:
Das Wort Utzenstorf hatte zu Gotthelfs Zeiten verschiedene Schreibweisen: Uzistorf, Utzistorf, Uzensdorf.
Zentrum Mösli, Utzenstorf